Bootshaus, Sigmaringen
50 Kilometer
Geboren wurde Soufyen Charni in Überlingen. Heute lebt und arbeitet er kaum 50 Kilometer entfernt davon. „Doch dazwischen lag in jeder Hinsicht eine weite Reise“, erzählt der Gastronom, der 2017 das Bootshaus in Sigmaringen übernommen hat. Mittlerweile betreibt er dort auch ein Hotel und eine Brauereigaststätte. In die Wiege gelegt war ihm das nicht, denn seine Eltern ließen ihn knapp zwei Flugstunden entfernt in Tunesien aufwachsen. Als Gastarbeiter gingen sie davon aus, bald ebenfalls in ihr Heimatland zurückzukehren. Doch Jahr für Jahr schoben sie die Rückkehr hinaus. Schließlich entschlossen sie sich endgültig zu bleiben. Sie holten ihren Sohn nach seinem Abitur zurück nach Deutschland. Gerne hätte er Medizin studiert. Aber dazu reichten die finanziellen Möglichkeiten nicht aus. „Mit der Kochlehre bekam ich viel schneller meinen weißen Kittel und konnte das gut verschmerzen“, scherzt der heute 44-Jährige. Schnell stieg er nach der Ausbildung und einigen beruflichen Stationen zum Betriebsleiter eines Restaurants auf. Sein Ziel war jedoch ein anderes: „Ich wollte immer schon mein eigener Chef werden.“
So interessierte er sich für die Ausschreibung der Gemeinde Sigmaringen, die einen neuen Betreiber für das Bootshaus suchte. „Ich fuhr einfach hin, bestellte etwas zu essen und zu trinken und überlegte, mit welchem Konzept ich das Restaurant in Schwung bringen könnte.“ Die Voraussetzungen dafür waren gut: Das Bootshaus liegt mit seinem idyllischen Biergarten direkt an der jungen Donau und war auch damals schon gut frequentiert. Mit seinen Ideen für eine gehobene saisonale und regionale Küche setzte er sich gegen zwei Mitbewerber durch. 2017 begann Charni mit drei Köchen und zwei Servicekräften. Heute betreibt er in Sigmaringen nicht nur erfolgreich das Bootshaus, sondern auch ein Hotel und eine Brauereigaststätte. Annähernd 100 Mitarbeitende freuen sich über attraktive Arbeitsplätze im ländlichen Raum.
Die Leistung ist umso bemerkenswerter, als Charni bei seiner Ankunft in Deutschland kein Wort Deutsch sprechen konnte. Dennoch hat er ohne Integrationskurs die Sprache gelernt, den Führerschein gemacht, die Ausbildung zum Koch absolviert und in nur fünf Jahren drei Betriebe aufgebaut. Was muss man für einen solchen Erfolg können? „Ohne Disziplin und Fleiß geht das natürlich nicht“, ist er überzeugt. Heute kommen weitere Erfolgsfaktoren hinzu. „Vor einigen Jahren hätte ich noch gesagt, man muss gut kochen können“, überlegt er. „Heute muss man ein guter Coach für seine Angestellten sein.“
Denn auch für ihn ist der Fachkräftemangel eine Herausforderung. Deshalb plant er, Wohnungen für sein Personal zu bauen und ist in allen Lebenslagen ein verständnisvoller Ansprechpartner. „Wenn Ihre Leute positiv über Sie sprechen, haben Sie auch auf dem heutigen Arbeitsmarkt eine Chance auf gute Bewerber.“ Die Angestellten danken ihm sein Engagement mit Zuverlässigkeit und guten Leistungen. So kann er beruhigt mit seiner Familie in den seltenen Urlaub fahren und erhält dort keinen einzigen Anruf aus seinen Betrieben. „Ich staune immer wieder, wie überflüssig ich bin“, meint er augenzwinkernd.
Sein Herz schlägt mittlerweile für Sigmaringen. Die Stadt ist ihm Heimat geworden. „Ich habe hier sehr viel Unterstützung erfahren.“ Überhaupt ist er begeistert vom ländlichen Raum in Baden-Württemberg. „Ich kenne hier so viele Menschen persönlich und weiß immer genau, an wen ich mich mit meinen Anliegen wenden kann.“
Und wie geht es jetzt weiter? Zunächst geht es ihm darum, die gerade mit großem Erfolg eröffnete Brauereigaststätte nachhaltig bei den Gästen zu etablieren. Weitere Projekte sind nicht ausgeschlossen. „Stillstand“, so Charni, „ist nicht so mein Ding.“